Definition und Gefahren des nächtlichen Essens
Wenn mindestens 25 % der Lebensmittel (meist ist es deutlich mehr), die man innerhalb von 24 Stunden zu sich nimmt, in der Nacht aufgenommen werden, spricht man vom sogenannten Night Eating Syndrom (NES).
Typisch ist, dass Betroffene tagsüber wenig Hunger haben und beim nächtlichen Essen vermehrt zu kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln greifen. Schätzungen zufolge essen 1-2 % der Bevölkerung nachts. Die Dunkelziffer wird bedeutend höher sein.
Im Vergleich dazu: die Zahl der an Anorexia nervosa (Magersucht) Erkrankten in Deutschland beträgt 0,5-1 %. Unter Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) leiden 2-4 % der Deutschen.
Dass nächtliches Essen nicht von der Natur eingeplant wurde ist klar. Der Körper hat nachts viele Aufgaben zu erfüllen – verdauen gehört da einfach nicht dazu. Die Organe nutzen die ruhige Zeit, um wichtigen Regenerationsaufgaben nachzukommen. Wenn man Magen und Darm aus dieser Ruhephase herauszwingt, indem man ihnen Lebensmittel zum Verdauen aufdrängt, sind diese schnell überfordert. Daraus können Verdauungsprobleme wie Sodbrennen oder Magenkrämpfe resultieren.
Die Beanspruchung der Verdauungsleistungen des Körpers führen nicht selten zu Schlafstörungen, was sich wiederum ungünstig auf den nächtlichen Appetit auswirkt. Ein Teufelskreis entsteht.
Die langfristigen Folgen umfassen, neben den oben genannten psychischen Problemen, auch eine große Belastung im Alltag durch Müdigkeit und Antriebslosigkeit. Ein eventuell steigendes Gewicht führt zu zusätzlichen Sorgen. Übergewicht ist allerdings nicht zwingend eine Folge des Night Eating Syndroms, da die nächtlich verzehrten Mengen nicht zwangsläufig groß sind.
Das Night Eating Syndrom ist eine Essstörung (wenn auch noch nicht offiziell anerkannt, aufgrund fehlender Forschung), deren Folgen für Körper und Seele weitreichend sein können. Nachts essen ist auf Dauer einfach ungesund. Wie bei jeder Erkrankung, ist es auch bei NES sehr wichtig, die Ursachen zu finden, um adäquate Behandlungsstrategien anzuwenden.
Nachts essen – die Ursachen
Die Ursachen für nächtliches Essen sind noch weitestgehend unerforscht. Zudem gestaltet sich die Ursachen-Suche bei NES gar nicht so einfach, da Ursache und Wirkung oft nicht genau einzuordnen und voneinander abzugrenzen sind.
So kann es sein, dass eine bestehende Depression zum Auslöser des Night Eating Syndroms wird. Ebenso besteht aber die Möglichkeit, dass chronische Müdigkeit und Antriebslosigkeit, als Resultat Deines nächtlichen Essens, zur Entstehung einer Depression führen.
Wenn Du nachts Hunger hast, solltest Du Dich auf die Suche nach möglichen Ursachen machen. Ob Hunger und Essen in der Nacht auf Krankheiten zurückzuführen ist, konnte bislang nicht nachgewiesen werden. Die folgenden Einflussfaktoren werden diesbezüglich diskutiert:
Psychische Ursachen
Depressionen, Ängste, Stress und Süchte versetzen den Körper und die Seele in dauerhafte Alarmbereitschaft. Den dauerhaft erhöhten Stresspegel, der durch solche psychischen Probleme entsteht, versuchst Du dann durch das nächtliche Essen zu kompensieren. Das passiert in den meisten Fällen gänzlich unbewusst.
Unterdrückte Emotionen
Tagsüber ist man häufig sehr beschäftigt und abgelenkt von seiner Gefühlswelt. Da sich unverarbeitete Emotionen jedoch nicht einfach so in Luft auflösen, treten sie nachts, wenn man sich selbst nicht mehr aus dem Weg gehen kann, hervor.
Genetische Komposition
In Studien wurde festgestellt, dass eine familiäre Häufung des Night Eating Syndroms vorliegt. Der Grund dafür könnte an der genetischen Veranlagung liegen.
Hormonelles Ungleichgewicht
In Tests wurden insbesondere bei zwei körpereigenen Hormonen Auffälligkeiten beobachtet.
Zum einen konnten bei Personen mit vorliegendem Night Eating Syndrom verringerte Melatonin-Spiegel festgestellt werden. Melatonin ist auch als „Schlafhormon“ bekannt. Es wird vermehrt abends und nachts ausgeschüttet und sorgt dafür, dass wir müde werden und in einen tiefen Schlaf fallen.
Zum anderen wurden bei Betroffenen erhöhte Werte an Ghrelin bemerkt, welches zu den appetitanregenden Hormonen gehört.
Verhaltensbezogene Hintergründe
Ungünstige Ernährungsgewohnheiten und Diäten könnten dafür sorgen, dass die aufgenommene Kalorienmenge am Tage einfach viel zu gering ist, sodass der Körper nachts seinen Energie- und Nährstoffbedarf decken möchte.
Wenn Du schon länger daran leidest, nachts Hunger zu haben und zu Essen, solltest Du Dich nicht scheuen dieses Problem bei einem Arzt und oder Experten für Essstörungen anzusprechen.
Mögliche Therapieansätze gegen nächtliches Essen
Aus meiner Beratungserfahrung als Expertin für Ernährungspsychologie, weiß ich, dass nächtliches Essen viel häufiger vorkommt als man es vermuten würde. Wenn also auch Du darunter leidest, dann mach Dich jetzt sofort frei von jeglichen Schuld- und Schamgedanken!
Selbst wenn die Ursachen für nächtliches Essen nicht vollumfänglich geklärt sind, gibt es eine ganze Reihe an möglichen Ansätzen, denen Du nachgehen kannst. Wenn Du Dir das Essen in der Nacht abgewöhnen möchtest, und das Night Eating Syndrom überwinden möchtest, solltest Du folgende Behandlungsmöglichkeiten beachten.
Gesunder Schlaf
Wenn Du Schlafprobleme hast, liegt nicht zwangsläufig ein Ungleichgewicht an Melatonin vor. Für Deinen unruhigen Schlaf gibt es auch eine ganze Menge anderer möglicher Ursachen.
Was sich insbesondere bei NES bewährt hat, ist das Führen eines Tagebuchs vor dem Schlafengehen. Hier kannst Du Deine Gedanken sortieren und sie auf die Gedankenautobahn schicken.
Lade Dir dafür das Tagebuch-PDF herunter und drucke direkt mehrere Seiten davon aus.
Stressabbau
Den Stresspegel im Alltag so niedrig wie möglich zu halten, ist eine Grundvoraussetzung für ein ausgeglichenes Leben. Du solltest herausfinden, was Dir guttut und Dich entspannt.
Dazu kannst Du gerne eine Liste führen. Schreibe alles auf, was Dich und Deinen Körper in irgendeiner Form nährt. So wird es Dir leichter fallen, Dein Stresslevel, mit für Dich persönlich geeigneten Mitteln, zu senken.
Falls Du ein paar Anregungen brauchst lies Dir auch gerne meinen Artikel zum Thema Stressessen vermeiden durch.
Emotionen
Frage Dich einmal selbst: „Was steckt hinter meinem Bedürfnis?“
Ist es möglich, dass Du nachts isst, damit es niemand sieht? Hast du nur nachts Zeit und Ruhe zum Essen? Versuchst Du Deine Gefühle und unruhigen Gedanken mit Essen herunter zu regulieren?
Nimm Dir tagsüber die Zeit, Deine Themen zu verarbeiten. Hierfür eignet sich die Methode des Journaling.
Übung (Journaling)
Schreibe auf, was Dich gerade bewegt:
- Wie verlaufen Deine Tage?
- Welchen Herausforderungen siehst Du Dich gerade ausgesetzt?
- Was ist besonders schön in Deinem Leben?
- Was hast Du gut gemacht?
- …
Es geht bei dieser Übung um eine Innenschau, die Dir helfen wird, Dich und Deine Gefühle besser kennenzulernen, einzuordnen und damit adäquat umzugehen. Besonders in Kombination mit Meditation, ist das Journaling eine unglaublich gute Möglichkeit der Gefühlregulation.
Ausreichend Essen
Du solltest Dich von Diäten und gezügeltem Essen verabschieden. Ansonsten läufst du Gefahr, mit nächtlichem Essen Dein großes Kaloriendefizit vom Tag ausgleichen zu wollen.
Nähre Deinen Körper tagsüber, wenn er in der Lage ist, das Essen gut zu verdauen. Achte auf eine ausgewogene Ernährung, die Dir überhaupt die Chance gibt, nächtliche Heißhungerattacken zu vermeiden.
Achtsames Essen
Vermeide es, Dein Essen unachtsam und viel zu schnell in Dich „hineinzuschlingen“. Langsam und aufmerksam zu essen ist wirklich keine einfache Übung. Als Mama eines Kleinkindes weiß auch ich, dass man sich das Kauen auch mal für mehrere Monate einfach abgewöhnt. 😊
Abgesehen von den körperlichen Schäden durch unzureichende Verdauung, tust Du Deiner Psyche damit auch keinen Gefallen. Denn unsere Nahrung sollte nicht nur unseren Körper nähren, sondern eben auch unsere Seele.
Psychologische Therapieformen
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Psyche einen unanfechtbaren Einfluss auf die Entstehung des nächtlichen Essendrangs hat.
Sowohl durch Hypnosetherapie, als auch mit Hilfe von Psychotherapie und Verhaltenstherapie, konnten schon gute Ergebnisse erzielt werden. Suche Dir unbedingt Hilfe und beachte die oftmals langen Wartezeiten bei von der Krankenkasse finanzierten Psychotherapien.
Psychopharmaka
Liegen Depressionen, Angst- und Suchtstörungen dem NES zugrunde, kann auch die Einnahme von Psychopharmaka zum Einsatz kommen. Besprich dies bitte mit einem Fachmann/einer Fachfrau.
Fazit
Nächtliches Essen, auch bekannt als Night Eating Syndrom (NES), ist eine relativ weit verbreitete Essstörung. Die Ursachen können sowohl körperlicher als auch psychischer Natur sein.
Um geeignete Therapie- und Behandlungsansätze zu finden, solltest Du versuchen, die zugrunde liegenden Ursachen für den nächtlichen Hunger ausfindig zu machen. Da das Night Eating Syndrom allerdings weiterer Forschung bedarf, sollten sich Betroffene nicht ausschließlich auf ärztlichen Rat verlassen.
Im Mittelpunkt der selbstständig umsetzbaren Linderungsmöglichkeiten stehen die Förderung einer guten Schlafhygiene, Gefühls- und Stressmanagement, eine ausgeglichene Ernährungsweise sowie die Therapie ursächlicher psychischer Erkrankungen, wie Depressionen.
Benötigst Du weitere Infos und Hilfe bei diesem Thema? Dann melde Dich gerne bei mir.